Samuel Haettenschweiler – Gegen die Linie

10. April 2025 bis 25. Mai 2025



Für die kommende Ausstellung entsteht eine ortsspezifische Skulptur, die sich mit Raumaneignung, Gentrifizierung und dem Verschwinden von Nischen im öffentlichen Raum auseinandersetzt. Der Ausstellungsort, eine ehemalige Telefonkabine im Atelierdorf Basislager, ist selbst ein temporärer Raum - ein Sinnbild für die prekäre Verfügbarkeit von Freiräumen in der Stadt. 
Samuel Haettenscheiler, lebt und arbeitet in Zürich.

Text und Bild: Samuel Haettenschweiler


Marie-Anne Lerjen – Kabine, berge mich, ich rufe dich

21. Februar 2025 bis 29. März 2025

Finissage mit Tele-Walk
Samstag, 29. März 2025, 13 Uhr
Treffpunkt: ring ring, Basislager, Aargauerstrasse 60, Zürich
Dauer: 2 Stunden
Kosten: Kollekte




Mit dem Ausstellungstitel Kabine, berge mich, ich rufe dich scheint die Künstlerin Marie-Anne Lerjen, die Telefonkabine von ring ring zu vermenschlichen. Sie fleht sie namentlich an, so dass das Objekt, die Kabine, zum Subjekt wird und aufgefordert ist, Schutz zu bieten. Zum ersten Mal ist die Kabine für die ring ring-Besucher*innen begehbar. Auch wenn die Telefonkabine längst ihrer ursprünglichen Funktion enthoben worden ist – diejenige des ungestörten Festnetz-Fernsprechens –, bietet sie so dennoch wieder einen geschützten Raum. Auch die Telefonkabinen, die nach wie vor überall in der Stadt stehen, ermöglichen diesen Schutz und sind zudem noch funktionstüchtig. Sechs Performer*innen, die Marie-Anne Lerjen für die Vernissage engagiert hat, rufen sie aus ebensolchen Kabinen von unterschiedlichen, selbst gewählten Standorten im Fünfminuten-Takt auf ihr Handy an. Um Punkt 19 Uhr klingelt es erstmals und im jeweiligen Kurzgespräch wird die Umgebung beschrieben. Auf eine Tafel im Innern der Kabine notiert die Künstlerin die sechs Telefonnummern, währenddessen die Performer*innen sich zu Fuss auf den Weg zur Ausstellung machen. Wie lange es dauern wird, bis alle am selben Ort eintreffen, hängt vielleicht auch davon ab, ob sie ähnlich wie Robert Walser beobachtend gehen: «Ohne Spazieren würde ich gar keine Beobachtungen und gar keine Studien machen können» 1 oder aber, ob sie möglichst schnell und ohne Umwege zum Ziel kommen. Offen bleibt, ob sich Personen während der Ausstellungsdauer in die offene Kabine begeben und es wagen, eine der sechs Nummern anzurufen. Und auch, ob gegebenenfalls am anderen Ende der Leitung jemand antworten wird. Wo die Kabinen stehen, von denen aus die Performer*innen zur Eröffnung telefonieren, erfährt man an der Finissage. Hierfür lädt die Künstlerin das Publikum zu einem gemeinsamen Stadtspaziergang zu den sechs Kabinen ein, auf dem nicht nur beobachtet und studiert, sondern auch über Distanz nachgedacht wird. 

Robert Walser: Der Spaziergang. Erstfassung 1917. Suhrkamp. 16. Auflage. Zürich 2021, S. 50.

Text: Sibylle Meier

Performer*innen: Georg Aerni, Christine Bänninger, Ida Dober, Marie-Anne Lerjen, Regula Michell, Hans-Georg von Arburg, Peti Wiskemann. ✆ Niemand erreicht, dann hier anrufen.

Marie-Anne Lerjen, lebt und arbeitet in Zürich. 2011 hat sie «lerjentours. Agentur für Gehkultur» in Zürich gegründet. Als Spazierkünstlerin hat sie sich dem gehenden Experimentieren verschrieben. Viele von ihr entwickelten Walks gehen der Frage nach, wie man durch die Art, wie man zusammen spaziert, die Wahrnehmung der Orte verstärken kann. Andere Projekte nehmen auf soziale und interaktive Aspekte des Spazierens Bezug oder schöpfen aus der Kunst- und Kulturgeschichte des Gehens. Sie performt, spricht und schreibt über Aspekte des gehenden Weltzugangs und ist Mitglied des International Walking Artist Networks.

Text: Marie-Anne Lerjen 
Bilder: Christian Beutler




Esther Schena – Is this the final print? 


5. Dezember 2024 bis 31. Januar 2025




Ein gelber Vorhang bewegt sich im Takt des Ventilators. Die Siebdruckrahmen trocknen währenddessen auf einer weissen Leiter im Sonnenlicht. Es ist heiss auf der Terrasse des Ateliers von Kaali collective in Dhaka. Die Künstlerin Esther Schena führt dort Workshops durch, die weit mehr als die Technik des Siebdrucks erzählen.

Dabei steht weniger das fertige Bild im Vordergrund sondern der Prozess und die Arbeit im Kollektiv. Es wird über die individuellen und gemeinsamen Erfahrungen reflektiert. Alle sprechen dieselbe Sprache, verbal und nonverbal. Aus Erinnerungsbilder des dreiwöchigen Aufenthaltes in Bangladesch kreiert Esther Schena für die Telefonkabine ring ring ein ortspezifisches Werk. Sie verwendet dafür Stoffe, die sie mit einer lichtempfindlichen Emulsion bestreicht, trocknen lässt, um danach diverse Objekte darauf zu plazieren und mit UV-Licht zu belichten. Es handelt sich um die klassische Art einer Siebdruckbelichtung. Allerdings verändert Esther Schena die Emulsion farblich und sie spannt kein Sieb auf einen Rahmen weder bei der Beschichtung noch bei der Belichtung. Diesen unkonventionellen Umgang mit Material und Technik nutzt die Künstlerin, um auch formal auf den Inhalt der Arbeit einzugehen. Es entstehen neue Erinnerungsbilder, zufällige vielleicht, sie sind unscharf und scheinen flüchtig zu sein, der Erinnerung ähnlich. Und es stellt sich den Betrachter*innen die Frage Is this the final print? Oder anders gefragt, kann ein Druckerzeugnis die Erinnerung abbilden? Gibt es nur die eine und wahre Erinnerung? Und was ist, wenn die Erinnerungen verschwinden? Was bleibt dann? Die Schriftstellerin Judith Schalansky schreibt in ihrem Buch Verzeichnis einiger Verluste: «[...], dass der Unterschied zwischen An- und Abwesenheit womöglich marginal ist, solange es die Erinnerung gibt1». Der Künstlerin Esther Schena gelingt dies, in dem sie die Erinnerung in den Kunstkontext transformiert.

Esther Schena (*1976) lebt und arbeitet in Zürich und ist in Graubünden in Val Müstair aufgewachsen. Sie absolvierte zuerst eine Lehre als Siebdruckerin, studierte danach an der F+F Bildende Kunst und vertiefte ihre künstlerische Fähigkeit mit einem Master of Fine Arts an der ZHdK. Zudem entwickelt Esther Schena bis heute den Siebdruck weiter. Sie betreibt dafür nicht nur eine eigene Werkstatt, sondern setzt auch in ihren künstlerischen Arbeiten unterschiedliche Drucktechniken ein, um neue Ausdrucksformen zu finden. Dabei beschäftigt sie sich mit dem Sichtbaren und dem Unsichtbaren, sowohl auf der technischen Ebene wie auch im philosophischen Kontext. Sie ist Teil des Kollektivs M.Paradoxa und engagiert sich seit 2022 bei Visarte Schweiz als Vizepräsidentin.

Judith Schalansky:Verzeichnis einiger Verluste, Berlin, 2018, S. 26.


Text: Sibylle Meier
Bilder: Christian Beutler



Theres Liechti – NIGHT VISIT / IN DER GUTEN STUBE


3. Oktober 2024 bis 30. November 2024


Die Künstlerin Theres Liechti wandelt die Telefonkabine ring ring in einen Leuchtkasten um. Sie montiert dafür Backlitpapier auf die sechs Glasscheiben und beleuchtet sie von innen. Damit verwehrt sie den Blick ins Innere der Kabine. Die Schwarzweiss-Fotografie zeigt konträr dazu den Blick in eine Zimmersituation. Es wirkt als ob sie zufällig entstanden sei. In den linken zwei Ausschnitten ist eine stehende, lachende, männliche Person mit einer Tasche zu sehen. Auf den mittleren zwei Bildteilen liegt eine Frau auf einem Sessel in Decken gehüllt, die Beine sind auf einem Stuhl hochgelagert. Die weibliche Person scheint mit dem Mann zu kommunizieren, ihr Kopf ist ihm zugewandt. Auf der rechten Kabinenseite schaut ein auf dem Sofa liegender Hund, ein Chihuahua, direkt in die Kamera und lädt dazu ein, die Szenerie zu beobachten. Der Titel der Arbeit NIGHT VISIT / IN DER GUTEN STUBE legt nahe, dass hier ein Wohnzimmer präsentiert wird, ein Alltagsmoment, und die Betrachter*innen zu Voyeur*innen werden. Es handelt sich dabei um die «gute Stube» der Künstlerin, die mit einer Infrarotkamera mit Bewegungsmelder experimentiert und Einblicke in ihr privates Leben offenlegt. Diese Kamera wird eigentlich für das Beobachten von Wildtieren benutzt und nicht, um Schnappschüsse im Haushalt zu machen. Es scheint als ob Theres Liechti die zwei Gegensätze - privat versus öffentlich – anhand der Überwachungskamera auslotet. Wissen die Personen, dass sie observiert werden und intime Einblicke in ihr Privatleben für Dritte preisgeben? Und aus welchem Grund werden sie überwacht? Eine Reihe von Bezügen sind denkbar, zu Überwachungskameras im öffentlichen Raum, zur Verarbeitung und Speicherung privater Daten im Internet, zur Kommunikation auf Social Media. Vielleicht bietet die gläserne Hülle der Werkes symbolisch eine Verbindung zum gläsernen Menschen? Unklar bleibt zudem, wer mit dem NIGHT VISIT, dem Nachtbesuch, gemeint ist. Sind es die Protagonist*innen auf der Fotografie, die durch ihre Bewegung das Bild verursachten? Oder sind es die Personen, welche dem persönlichen Moment durch die fotografische Datenerfassung von aussen beiwohnen?

Theres Liechti (*1968 Zürich) lebt und arbeitet seit 1990 in Winterthur und absolvierte an der Zürcher Hochschule der Künste ein Studium in Vermittlung Gestaltung & Kunst. Die Multimediakünstlerin bewegt sich mühelos zwischen zeichnen, fotografieren, filmen und Objektkunst. Die Umwelt und der eigene Alltag dienen ihr dabei als Inspirationsquelle und beschäftigt sich in ihren Werken mit den Heile- Welt- Vorstellungen und deren Fragilität, oft auch mit einem Augenzwinkern.

Text: Sibylle Meier
Bilder: Christian Beutler



Maria Bill – SAT | SET | 001


22. August 2024 bis 28. September 2024



Wie ein architektonischer Körper schwebt in der Telefonkabine von ring ring ein Metallobjekt, das aus zwei Lampenschirmen und zwei Ventilatoren besteht, welche mit einem Mittelstück verschraubt worden sind. Maria Bill verrät mit dem Titel SAT / SET / 001, dass es sich um einen Satelliten handelt oder vielmehr um Teile davon. Das Universum beschäftigt die Künstlerin seit ihrer Kindheit und die Mondlandung 1969 ist in ihrer Erinnerung präsent. Nicht nur Comics, Bücher, Texte oder Science-Fiction-Literatur, die das Weltall thematisieren förderten ihr Interesse, sondern auch ihr Vater, der Physiker war. Die Künstlerin nutzt ihre Vorstellungskraft um in der materiellen Welt einen Satelliten zu schaffen. Hierfür verwendet sie Objekte, die seit über 15 Jahren in ihrem Besitz sind. Allerdings transformiert sie deren ursprüngliche Funktion des Lichtformens und Luftbewegens, nur um sie ihnen letztlich ganz zu entziehen. Wie in einem Kuriositätenkabinett ist der Satellit hinter Glas konserviert und scheint in einer anderen Zeit existiert zu haben. Kein Signal ist zu hören, keine Datenübermittlung machbar und keine Kommunikation. Ein schwarzes Loch an der Wand, vielleicht auch der Satellitenschatten, absorbiert alles in eine andere Welt. Und auch wenn die dunkelblaue Wandfarbe mit Glitzerpulver das Weltall suggeriert, ist kein Fliegen dorthin mehr möglich. Der Satellit ist zur passiven Skulptur geworden, er verliert im Orbit den Bezug zur Welt und die Welt den Bezug zum Satelliten. Die Betrachter*innen werden zu Zeugen*innen von etwas, das ist und nicht mehr ist. Vielleicht eine Anspielung auf die grosse Menge von funktionslosem Schutt, der im Weltall weiter kreist und kreist. Der Satellit hier wie dort ein Objekt, das durch konserviertes Nichtsein fasziniert.

Maria Bill (*1963 ) ist in Genf aufgewachsen und absolvierte dort ihre Studien in Innenarchitektur und Kunstvermittlung. Sie lebt und arbeitet in Zürich. Ihre Medien sind Zeichnung, Druckgrafik, Collage, Malerei, Objekte und Künstlerbücher. Sie beschäftigt sich mit den Themen Stadtlandschaft, Architektur, Kristalle und Science-Fiction und bilden die Grundlage ihrer künstlerischen Werke. 2023 residierte sie in der Cité Internationale des Arts in Paris. Seit 2019 leitet und kuratiert sie zudem mit Regula Weber und Antonia Hersche den
Artist-Run Space www.nano-raumfuerkunst.ch und arbeitet auch im Kollektiv RAM.


Text: Sibylle Meier
Bilder: Christian Beutler