Maria Bill – SAT | SET | 001


22. August 2024 bis 28. September 2024



Wie ein architektonischer Körper schwebt in der Telefonkabine von ring ring ein Metallobjekt, das aus zwei Lampenschirmen und zwei Ventilatoren besteht, welche mit einem Mittelstück verschraubt worden sind. Maria Bill verrät mit dem Titel SAT / SET / 001, dass es sich um einen Satelliten handelt oder vielmehr um Teile davon. Das Universum beschäftigt die Künstlerin seit ihrer Kindheit und die Mondlandung 1969 ist in ihrer Erinnerung präsent. Nicht nur Comics, Bücher, Texte oder Science-Fiction-Literatur, die das Weltall thematisieren förderten ihr Interesse, sondern auch ihr Vater, der Physiker war. Die Künstlerin nutzt ihre Vorstellungskraft um in der materiellen Welt einen Satelliten zu schaffen. Hierfür verwendet sie Objekte, die seit über 15 Jahren in ihrem Besitz sind. Allerdings transformiert sie deren ursprüngliche Funktion des Lichtformens und Luftbewegens, nur um sie ihnen letztlich ganz zu entziehen. Wie in einem Kuriositätenkabinett ist der Satellit hinter Glas konserviert und scheint in einer anderen Zeit existiert zu haben. Kein Signal ist zu hören, keine Datenübermittlung machbar und keine Kommunikation. Ein schwarzes Loch an der Wand, vielleicht auch der Satellitenschatten, absorbiert alles in eine andere Welt. Und auch wenn die dunkelblaue Wandfarbe mit Glitzerpulver das Weltall suggeriert, ist kein Fliegen dorthin mehr möglich. Der Satellit ist zur passiven Skulptur geworden, er verliert im Orbit den Bezug zur Welt und die Welt den Bezug zum Satelliten. Die Betrachter*innen werden zu Zeugen*innen von etwas, das ist und nicht mehr ist. Vielleicht eine Anspielung auf die grosse Menge von funktionslosem Schutt, der im Weltall weiter kreist und kreist. Der Satellit hier wie dort ein Objekt, das durch konserviertes Nichtsein fasziniert.

Maria Bill (*1963 )
ist in Genf aufgewachsen und absolvierte dort ihre Studien in Innenarchitektur und Kunstvermittlung. Sie lebt und arbeitet in Zürich. Ihre Medien sind Zeichnung, Druckgrafik, Collage, Malerei, Objekte und Künstlerbücher. Sie beschäftigt sich mit den Themen Stadtlandschaft, Architektur, Kristalle und Science-
Fiction und bilden die Grundlage ihrer künstlerischen Werke. 2023 residierte sie in der Cité Internationale des Arts in Paris. Seit 2019 leitet und kuratiert sie zudem mit Regula Weber und Antonia Hersche den
Artist-Run Space www.nano-raumfuerkunst.ch und arbeitet auch im Kollektiv RAM.


Text: Sibylle Meier
Bilder: Christian Beutler

Navid Tschopp – OHNE TITEL (Heisser Draht / rotes Telefon), 2024


6. Juni 2024 bis 18. August 2024



Für ring ring entscheidet sich Navid Tschopp, zum ersten Mal mit Styropor zu arbeiten und klebt für seine Arbeit mehrere 10cm dicke Styroporplatten zusammen. Mit einem heissen Draht schneidet der Künstler runde Formen heraus. Eine organische, unkontrollierte Masse aus künstlichem Material ist entstanden. Sie breitet sich in der ganzen Telefonkabine aus und fliesst auf der Aussenseite der Kabine ungehindert weiter. Durch die weisse Farbe bildet die Figur einen Kontrast zum satten Grün der Natur und markiert so das Spannungsfeld zwischen Künstlichkeit und Natürlichkeit. Die Kabine scheint ihrer ursprünglichen Funktion, ein Gespräch zwischen zwei Menschen zu ermöglichen, vollständig entrückt. Navid Tschopp nimmt jedoch mit dem heissen Draht, den er zum Schneiden des Styropors verwendet, Bezug auf das Telefonieren. Möglich, dass der Künstler mit dieser Werkzeugwahl und dem roten Telefon auf den heissen Draht, die ständige Fernschreibeverbindung zwischen der Sowjetunion und denVereinigten Staaten während des kalten Krieges verweist. Möglich auch, dass er mit dem Werk auf den Krieg zwischen Russland und Ukraine aufmerksam macht - wurde doch der heisse Draht deswegen erneut installiert.1 Vielleicht symbolisiert die weisse Skulptur auch schmelzende Gletschermassen, verformt durch die Hitze des Klimawandels, den Weckruf mit sich reissend. Oder vielleicht soll das Herausfliessen des Kunstwerks aus der Kabine die Betrachter*innen dazu animieren bei der Deutung „out of the box“ zu denken.

Navid Tschoop (*1978) ist in Maschad im Iran geboren, lebt seit 1987 in der Schweiz und ist seit vielen Jahren in Zürich zu hause. An der Zürcher Hochschule der Künste absolvierte er einerseits ein Studium in Kunstvermittlung und andererseits einen Master of Arts in Fine Arts.
Atelierstipendien führten ihn nach Istanbul und nach New Delhi. Zudem wurde seine Arbeit mit Werkbeiträgen gefördert und mehrere Kunst-am-Bau-Projekte realisiert. Navid Tschopp äussert sich mit subtilen und spielerisch wirkenden Interventionen im öffentlichen Raum zu aktuellen, oftmals auch politischen Themen.

1 Die Verbindungen sollen die Möglichkeit schaffen eine Friedensgefährdung durch Irrtümer, Missverständnisse oder Verzögerungen im Kommunikationsweg zu verhindern (Quelle, Wikipedia)


Text: Sibylle Meier
Bilder: Christian Beutler

Laura Paloma – fyp broken, 2024


11. April 2024 bis 31. Mai 2024


Laura Paloma beschäftigt sich in der Arbeit, die sie für ring ring schafft, mit de Phänomen der Algorithmen, wie sie insbesondere auf Social-Media-Plattforme angewendet werden. Hierfür scrollt sie sich durch TikTok-Seiten und stellt fest, das die FYP (englischer Ausdruck für «for your page», übersetzt bedeutet dies «für deine Seite») von einigen Nutzer*innen nicht mehr funktioniert und diese sich in Kommentaren dazu äussern und beispielsweise fragen, ob auch andere eine kaputte FYP hätten. Solche Textfragmente druckt Laura Paloma auf Papier, schneidet sie aus und klebt sie an die Fensterscheiben der Telefonkabine. Sie sind ihres Kontexts enthoben und von der digitalen in eine analoge Welt transferiert worden. Das Absurde der digitalen Texte mündet in den Kunstkontext und gibt dem Werk auch gleich den Titel fyp broken. Die Grenzen zwischen Nicht-Kunst und Kunst werden dabei aufgelöst. Aus CDs, die Laura Paloma in Brockis findet und von Freunden geschenkt bekommt, bastelt sie zudem ein Mobile aus Sternen, Monden und Herzen, das im Innern der Kabine hängt. Das dreidimensionale, kindlich-kitschige Werk – eine Parodie auf die verführerische Wirkung der Social-Media-Plattformen – stellt mit seinen kaputten CDs als Bausteine eine Metapher für einen endlichen statt unendlichen, einen gebrauchten und sich immer wiederholenden Feed und auf fyp broken dar.

Laura Paloma (*1995) ist im Waadtland aufgewachsen, lebt und arbeitet in Biel. Ihre künstlerische Ausbildung schloss sie 2021 an der Kunsthochschule Bern im Bereich «Literarisches Schreiben» mit einem Master in Contemporary Arts Practice ab. Sie ist als Künstlerin und Autorin tätig und schreibt mehrsprachig. In ihren Arbeiten hinterfragt Laura Paloma die Beziehungen zwischen Bild, Objekt, Text, Sprache und Spiel, vor allem auch online. Im Fokus steht dabei unter anderem die Auseinandersetzung mit der «Meme-Kultur1».

1 Ein Meme ist ein kreativer Inhalt, der sich vorwiegend im Internet verbreitet. Dieser ist in der Regel humoristisch und aufheiternd, manchmal auch satirisch und entsprechend gesellschaftskritisch Bei Memes kann es sich um selbsterstellte Werke handeln,
aber auch um montierte oder aus dem ursprünglichen Kontext gerissene Fotografien, Zeichnungen, Animationen oder Filme von anderen. Sie tauchen in Form bewegter und unbewegter Bilder, als Text, Video oder auch Audio auf, sind also nicht an einen Medientyp gebunden. Meist werden Memes über das Internet weitergereicht, wo sie eine virale Verbreitung erlangen. Memes sind ein bedeutender Teil der Netzkultur. (Quelle, Wikipedia).

 

Text: Sibylle Meier
Bilder: Christian Beutler und Johanna Bossart

Monica Germann & Daniel Lorenzi – call me on my cellphone, 2024


8. Februar 2024 bis 31. März 2024



Überlebensgrosse Figuren sind von Monica Germann & Daniel Lorenzi mit schwarzer Tusche direkt auf das Glas der ausrangierten Telefonkabine von ring ring gezeichnet worden. Der Blick ins Innere ist der aufgetragenen Buttermilch wegen verunmöglicht. Der Fokus bleibt auf den Figuren, die zwischen Tür und Glas eingeklemmt scheinen. Holzbretterverschlag, Telefone, Tiere und Insekten, auch sie überdimensional, fügen sich in die Szenerie ein und lassen die Betrachter*innen an Vanitas1 denken. Die Vergänglichkeit ist im Werk des Duos omnipräsent, auch weil sie meist ortsspezifische Interventionen schaffen, die nach der Ausstellungsdauer wieder entfernt werden und für immer verschwinden. Flüchtige Bilder, die nicht für die Ewigkeit gedacht sind, sondern für das Hier und Jetzt. Das Carpe diem ephemerer Bilder. Ob es sich in diesem Œuvre dabei um Selbstportraits handelt und Germann & Lorenzi sich als Tableau vivant in der Zeichnung für kurze Zeit einfügen, muss offen bleiben. Die ehemalige Telefonkabine reiht sich jedoch in das Themenfeld der beiden ein, auch hier wird auf die technische Veränderung fokussiert, auch wenn es sich dieses Mal um Kommunikation und nicht um Musik dreht: Von analog zu digital, vom Telegramm zum Kabeltelefon bis zum drahtlosen digitalen Handy. Und wie es der Titel der Arbeit unterstreicht: call me on my cellphone.

Monica Germann (*1966) ist in St. Gallen geboren und Daniel Lorenzi (*1963) in Solothurn. Nachdem sie ihre Ausbildungen an der heutigen Zürcher Hochschule der Künste in den Fachbereichen Malerei/Zeichnung, Film/Animation und Fotografie abschlossen, arbeiten sie seit 1995 als Künstlerduo Germann/Lorenzi in Zürich zusammen. Sie setzen sich mit Zeichnung, Malerei, Rauminstallation, Objekt, Video und Musik auseinander. Manchmal kombinieren sie ihre Arbeiten auch mit performativen Aktionen. Eine zentrale Rolle spielt dabei meist die Musik und deren technische Veränderung: Von analog zu digital, von der Schallplatte zur CD, vom musikalischen Datenträger bis zum rein digitalen Speichermedium. Das vergangene Medienzeitalter wird kurzzeitig als Wandzeichnung in Tusche gebannt und mit  Sujets, die in der Natur und im Alltag zu finden sind, neu kombiniert.
Monica Germann & Daniel Lorenzi


1 Unter Vanitas versteht man die symbolische Darstellung der Unbeständigkeit und Zerbrechlichkeit menschlichen Lebens, in: Symbole und Allegorien, Bildlexikon der Kunst Band 3, Berlin 2003, S. 360.


Text: Sibylle Meier
Bilder: Christian Beutler

Balca Ergener – The weather feels | does not feel like home, 2023

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7. Dezember 2023 bis 31. Januar 2024


Im Werk The weather feels | does not feel like home, setzt sich Balca Ergener mit Fragmenten der Identität auseinander. Mit der Beziehung zwischen Zuhause und dem Körper, zwischen dem Körper und der ihn umgebenden Materie, mit Entwurzelung und der rasanten Veränderung in der Umgebung. Auf der Rückwand der Telefonkabine von ring ring hängt eine formatfüllende Fotografie. Sie zeigt die Aufsicht auf die Wasseroberfläche eines Brunnens, der im Gezi-Park in Istanbul steht. Die Zweidimensionalität der Fotografie erweitert die Künstlerin collageartig mit dem Bild eines Betonklotzes. Dieses Artefakt einer Baustelle steht für den stetigen anthropogenen Wandel der Lebensräume. Zwei Sujets, die scheinbar nicht zusammen passen und physikalische Gesetze ausser Kraft setzen: Einerseits stellt die Collage die Leichtigkeit des Wassers dar, das immer in Bewegung ist und anderseits die Schwere des statischen Steins, welcher seinem Gewicht zum Trotz auf der Oberfläche schwebt. Jedoch stehen beide gleichermassen für Veränderung. Die Künstlerin wechselt selbst zwischen zwei Welten hin und her, pendelt von der Schweiz in die Türkei und wieder zurück. Das führt zu einem Gefühl der Ungebundenheit. Dieses Spannungsfeld übersetzt Balca Ergener in Morsezeichen. Und erinnert sich daran, dass früher in Telefonkabinen nach Hause telefoniert wurde, während nun fortwährend der Satz The weather feels | does not feel like home blinkt.

Balca Ergener ist 1980 in Istanbul geboren und aufgewachsen. Ihre Kunstausbildungen absolvierte sie in New York, Istanbul und in Zürich. Seit 2017 arbeitet und lebt sie mit ihrer Familie in der Schweiz. Inhaltlich beschäftigt sie sich mit alltäglichen Situationen und versucht diese mittels Verfremdung in neue Kontexte zu setzen und ermöglicht so neue Sichtweisen auf Altbekanntes. Die Arbeiten setzt sie mit Hilfe von Fotografie, Film und Texten um. Sie sind oft partizipatorisch angelegt, münden in Buchprojekten oder sind performativ, unter anderem mit dem Kollektiv M. Paradoxa.

1 Als Proteste in der Türkei 2013, auch Gezi-Proteste, werden Demonstrationen
und Aktionen von Bürgern in der Türkrei gegen die Regierung von Ministerpräsident Recep Tayyip Ergogan zusammengefasst. Die Protestwelle begann am 28. Mai 2013 Istanbul mit Demonstrationen gegen ein geplantes Bauprojekt auf dem Gelände desGezi- Parks, der unmittelbar an den Taksim-Platz angrenzt. (Quelle, Wikipedia).



Text: Sibylle Meier
Bilder: Christian Beutler